19.03.2015
Zum Inhalt
Irgendwo in Sibirien wird ein Experiment gestartet. Ergebnisse sind erst in ferner Zukunft zu erwarten. Bis dahin überlässt man die Versuchsanlage sich selbst. Die Zeit vergeht. Ein halbes Jahrhundert später wird in derselben Gegend ein Teilchenbeschleuniger gebaut. Dann geht etwas schief – Atomexplosion und radioaktive Strahlung rund um das Epizentrum. Die Gegend wird zur verbotenen Zone erklärt.
Wiederum vergehen rund 50 Jahre. Die Menschen haben das Experiment vergessen, waren mit wichtigeren Dingen beschäftigt. Plötzlich geht es in Sibirien drunter und drüber. In der Zone flackert Feuerschein. Explosionen erschüttern den Erdboden, blauer Nebel steigt auf. Gewaltige Energien entladen sich in gewisser Regelmäßigkeit. Was ist geschehen?
Das Institut für nichtklassische Physik schickt zwei Physiker samt Fahrer in einem gepanzerten Spezialfahrzeug los. Sie überqueren die Zonengrenze und fahren in ein Waldgebiet. Die Stimmung ist unheimlich. Regen peitscht gegen das Fahrzeug, die Instrumente spielen verrückt. Auf ihrem Weg zum Epizentrum begegnen ihnen schrecklich missgestaltete Tiere. Der Fahrer Polessow trotzt allen Widrigkeiten. Nach schier endloser Fahrt erreichen sie ihr Ziel.
Jedoch ist nichts, wie sie es erwartet haben. Verwundert betreten die Physiker Berkut und Iwan Iwanowitsch die zerstört geglaubte Versuchsanlage. Sie ist noch intakt. Der sogenannte »Zeitmotor«, ein Quantengenerator, läuft und liefert erstmals Energie.
Hintergrund
Die Erzählung »Das vergessene Experiment« erschien 1959 in der ehemaligen Sowjetunion.
Sie spielt im »Mittags«-Zyklus der Strugatzkis. Zeitlich ist die Handlung Ende des 22. Jahrhunderts einzuordnen.
Die Strugatzkis haben folgenden chronologischen Ablauf vorgesehen: Das vergessene Experiment wird Ende des 20. Jahrhunderts gestartet und ist für eine lange Versuchszeit ausgelegt. Mitte des 21. Jahrhunderts wird die Wissenschaftsstadt, die sich über der Versuchsanlage befindet, infolge der Explosion des Teilchenbeschleunigers vernichtet. Die nächsten fünfzig Jahre ist die Menschheit mit anderen Dingen beschäftigt und dann kommt es zu den neuen Erscheinungen in der Zone. [1]
Die Vorstellung von der Funktionsweise eines sogenannten „Zeitmotors“ beruht auf einem Vortrag Professor Kosyrjows zum Thema »Kausale oder asymmetrische Mechanik in linearer Näherung«. Später wurden die meisten Theorien des Professors widerlegt. Aber als sujetbildende Idee funktionieren seine Annahmen wunderbar. [1]
Der Begriff Kyber taucht zum ersten Mal im Werk der Strugatzkis auf. Damit ist eine polyfunktionale intelligente Maschine gemeint.
Persönliche Wertung
Die Erzählung gefällt mir sehr. Wie in allen Werken der Autoren fällt die lebendige und bildreiche Sprache auf. Die karge Landschaft, heftige Regenschauer, blauer Nebel, verkrüppelte Pflanzen und missgestalteten Tiere ergeben zusammen ein unheimlich grusliges Gesamtbild. Der Leser wird dadurch förmlich in die Handlung hineingezogen. Die gesamte Stimmung ähnelt der in »Picknick am Wegesrand«.
Die drei Hauptakteure sind treffend beschrieben. Der Leser kann sich gut in sie hineinversetzen. Mein persönlicher Held ist Polessow. Er strahlt Gelassenheit und Professionalität aus. Die beiden anderen sind typische Wissenschaftler. Sie handeln etwas zu risikofreudig, bringen sich selbst in Gefahr und wirken in manchen Situationen hilflos. Ein wenig erinnert dies an das Zusammenspiel der Figuren Bykow, Dauge und Jurkowski in »Atomvulkan Golkonda«.
Humorvoll ist die Idee mit den »ängstlichen« Kybern, die sich nicht in die Zone trauen. Sie bedrängen und umlagern das Expeditionsfahrzeug und wirken dabei schon fast menschlich.
Die Erzählung ist sehr unterhaltsam und für Leser mit Interesse am Gesamtwerk der Strugatzkis besonders empfehlenswert.
Zum Buch
Titel: | Das vergessene Experiment |
Russischer Originaltitel: | Забытый эксперимент (Das vergessene Experiment) |
Autoren: | Arkadi und Boris Strugatzki (auch Strugazki) |
Deutsch: | Aljonna Möckel |
Verlag: | Golkonda Verlag GmbH 2013 |
Seitenzahl: | 28 |
Ausgabe: | Gebunden mit Schutzumschlag |
Quellen
[1] Gesammelte Werke Band 5, Arkadi und Boris Strugatzki – Golkonda Verlag GmbH 2013
[2] Quarber Merkur 93/94 – Franz Rottensteiners Literaturzeitschrift für SF und Phantastik
Das »Buchcover« wurde nach einer Illustration von N. I. Grischin gestaltet und stammt von der Seite »Фантасты братья Стругацкие: Николай Ильич Гришин (1921–1985)«. Sie erschien in dieser Buchausgabe: Знание – сила. – 1959. – № 8.
Die drei anderen Illustrationen von B. Alimov stammen von der Seite »Фантасты братья Стругацкие: Алимов Борис Александрович (1932-2006)«. Sie erschienen in dieser Buchausgabe: Испытание СКИБР – Стругацкий А., Стругацкий Б. Шесть спичек. – М.: Детгиз, 1960.
Die Veröffentlichung der Zeichnungen erfolgt mit freundlicher Genehmigung durch Vladimir Borisov (Redakteur der Seite »Фантасты братья Стругацкие«).