10.06.2011
Zum Inhalt
In einer fernen Zukunft leben die Menschen auf der Erde in einer friedlichen Gesellschaft. Wissenschaft und Technik sind hoch entwickelt. Die Erde gleicht einem blühenden Garten. Sternenexpeditionen verlassen das Sonnensystem und besuchen die Planeten der nächstgelegenen Sterne. Die Menschheit steht über den »Großen Ring« in Kontakt zu fremden Zivilisationen. Die Besatzung des Raumschiffs »Tantra« ist auf dem Weg in ein Planetensystem im Sternbild Schlangenträger. Dessen einziger bewohnter Planet Sirda, schon lange über den »Großen Ring« mit der Erde in Kontakt stehend, sendet seit einigen Jahren keine Signale mehr.
Am Ziel ihrer Reise angekommen, müssen die Raumfahrer feststellen, dass diese Welt tot ist. Nur eine schwarze, mohnähnliche Pflanze bedeckt ihre Oberfläche wie ein Teppich. Messungen in der Planetenatmosphäre weisen Spuren einer radioaktiven Verseuchung nach. Die Bewohner der Sirda waren über den »Großen Ring« vor den Gefahren der Kernenergie gewarnt worden. Trotzdem müssen sie ihre Versuche fortgesetzt haben.
Unter Führung des Expeditionsleiters Erg Noor beschließen die Raumfahrer, den Rückweg zur Erde anzutreten. Ihre Vorräte an Anameson (Treibstoff für Flüge nahe der Lichtgeschwindigkeit) sind aber fast aufgebraucht. Der kürzeste Weg führt sie durch ein unerforschtes Sternengebiet.
Unerwartet gerät das Schiff in den Anziehungsbereich eines massereichen Eisensterns. Die »Tantra« muss abbremsen und wird zum Satelliten eines seiner Planeten. Beim Scannen der Oberfläche werden zwei Raumschiffe geortet. Bei einem handelt es sich um die »Parus«, ein Schiff, das seit vielen Jahren als verschollen gilt. Es scheint verlassen und reagiert nicht auf Funksignale. Das zweite Schiff erregt durch seine tellerartige Rumpfform die Aufmerksamkeit der Gestrandeten. Es kann keiner Zivilisation des »Großen Ringes« zugeordnet werden.
Die Raumfahrer entschließen sich zur Landung. Der Planet erweist sich als sehr ungastlich. Seine hohe Schwerkraft drückt die Forscher zu Boden. Sie können sich nur mit technischen Hilfsmitteln auf der Oberfläche bewegen. Außerdem verfügt diese Welt über eine Biosphäre. Die Infektion mit fremdartigen Krankheitskeimen droht.
Bei der Untersuchung der »Parus« werden große Vorräte an Anameson entdeckt. Von der Besatzung fehlt aber jede Spur. Nur eine unheilvolle Botschaft im Speicher des Schiffs gibt einen Hinweis. Sie enthält eine eindringliche Warnung vor den Lebewesen des Planeten. Die gesamte Besatzung der »Parus« muss ihnen zum Opfer gefallen sein.
Eine Forschergruppe um Erg Noor versucht, das geheimnisvolle Tellerraumschiff zu öffnen. Das Vorhaben misslingt. In diesem Moment wird die Gruppe von einer besonders aggressiven Lebensform überfallen. Die junge Raumfahrerin Nisa Krit wird bei diesem Angriff schwer verletzt. Daraufhin startet die »Tantra« und setzt ihren Rückflug zur Erde fort.
Eine weitere Geschichte spielt auf der Erde. Dar Weter, der Leiter der Außenstationen, steht vor einer beruflichen Veränderung. Durch seine anstrengende Arbeit ist er psychisch erkrankt. Gleichgültig gegenüber dem Leben und seiner Arbeit geworden, fällt es ihm immer schwerer, seiner Verantwortung gerecht zu werden. Seine Freundin Weda Kong, eine Historikerin, lädt ihn deshalb ein, bei archäologischen Ausgrabungen mitzuarbeiten. Durch die schwere körperliche Arbeit überwindet Weter seine Depression. Er erkennt aber auch, dass Weda für ihn mehr als eine Freundin ist. Das stürzt ihn in einen neuen Konflikt. Ihm ist bewusst, dass die Historikerin schon seit vielen Jahren Erg Noor in Liebe verbunden ist und auf seine Rückkehr wartet. Dar Weter sucht deshalb Abstand und nimmt eine Arbeit in den Titan-Minen Südamerikas auf.
Die Erde steht über den »Großen Ring« in ständigem Kontakt zu anderen Zivilisationen. Bei einer der regelmäßigen Sendungen können die Menschen auch Bilder und Töne eines Planeten empfangen, der um den Stern Epsilon im Sternbild Tukan kreist. Es ist das erste Mal, dass über den »Großen Ring« Kontakt zu einer Welt aufgenommen werden kann, deren Bewohner den Menschen sehr ähnlich sind. Mwen Mass, der neue Leiter der Außenstationen, ist vom Bild der schönen Sprecherin dieses fernen Planeten fasziniert. Immer wieder beschäftigt ihn dieses Erlebnis. In ihm wächst der Wunsch, die große Entfernung zwischen den Sternen überwinden zu können.
Die Entdeckung des jungen Physikers Ren Boos könnte seinen Traum wahr werden lassen. Beide Männer lernen sich kennen und entwickeln einen Plan, wie ohne Zeitverzögerung direkter Kontakt zu fernen Welten hergestellt werden könnte. Das Unternehmen ist riskant. Sie benötigen für ihre Anlage die gesamte Energie der Erde. Weil Mwen Mass eine mögliche Ablehnung seines Projekts durch den wissenschaftlichen Rat befürchtet, will er einen ersten Versuch ohne Genehmigung durchführen. Die Anlage wird gestartet. Es kann scheinbar für wenige Augenblicke eine direkte Verbindung mit dem Epsilon-System hergestellt werden. Danach kommt es plötzlich zu einer gewaltigen Explosion. Die riesige Energiemenge zerstört die Versuchsanlage und den Satelliten 57. Dessen Besatzung wird dabei getötet. Ren Boos überlebt nur knapp. Mwen Mass gibt sich an allem die alleinige Schuld und zieht sich auf die »Insel des Vergessens« zurück. An diesem Rückzugsort halten sich Menschen auf, die mit den Gesetzen der Gesellschaft in Konflikt geraten sind.
Inzwischen ist die »Tantra« nach jahrelangem Flug zur Erde zurückkehrt. In einer Sitzung des Rates für Astronautik wird das tragisch verlaufene Experiment untersucht. Der Rat spricht Mwen Mass schuldig. Die Verantwortlichen bewerten seine Ziele aber als ehrenhaft. Die durch den Versuch gewonnenen Forschungsergebnisse werden als bedeutsam für die Weiterentwicklung der interstellaren Kommunikation eingeschätzt. Der Forscher wird rehabilitiert.
Anschließend diskutiert der Rat über die Planung der 38. Sternenexpedition. Die Entdeckung des Tellerraumschiffs zwingt die Ratsmitglieder, die Ziele dieses Unternehmens neu zu formulieren. Man entschließt sich, insgesamt drei Raumschiffe gleichzeitig auf Erkundung ins All zu schicken. Das gerade fertig gestellte Schiff »Lebed« wird ein 70 Lichtjahre entferntes Sternensystem besuchen. Einer seiner Planeten könnte günstige Bedingungen für eine menschliche Kolonie bieten. Die »Tintaschel« wird zum kürzlich entdeckten Eisenstern entsandt. Seine Planeten und das Tellerraumschiff sollen weiter untersucht werden. Ein drittes Schiff unternimmt eine Reise zu einem interessanten 3fach-Sternsystem.
Weda Kong untersucht später eine unterirdische Anlage mit Zeugnissen aus der Vergangenheit. Beim Versuch, eine verschlossene Stahltür zu öffnen, stürzt ein Teil der Anlage ein. Die Historikerin kann mit knapper Not ihr Leben retten.
Erg Noor startet mit der »Lebed« auf eine Sternenreise, von der er nicht zurückkehren wird. Die wieder genesene Nisa Krit begleitet ihn. Kurz nach dem Start des Schiffs empfängt die Erde über den »Großen Ring« eine Botschaft aus dem Andromedanebel. Die Fernsehsendung lässt nur einen Schluss zu: Das auf dem ungastlichen Planeten gefundene Tellerraumschiff stammt aus dieser fernen Galaxis.
Hintergrund
Der Roman »Andromedanebel« (dt. »Das Mädchen aus dem All«) erschien 1957 in einer gekürzten und 1958 in einer vollständigen Ausgabe auf Russisch. Bei diesem Buch handelt es sich um eines der erfolgreichsten Werke der Science-Fiction-Literatur, das jemals in der Sowjetunion veröffentlicht wurde. Die gekürzte Fassung wurde der Leistung des Autors nicht gerecht, denn darin fehlten die für die Darstellung der Zukunft wichtigen Kapitel »Strom der Zeit«, »Das Pferd auf dem Meeresgrund«, »Die Schule des dritten Zyklus« und die »Insel des Vergessens«.
Eine zeitliche Einordnung der Handlung fällt schwer. Im Umschlagtext der deutschen Ausgabe wird von 1000 Jahren ([1]) in der Zukunft geschrieben, eine andere Quelle nennt 2000 Jahre ([2]).
Im Roman wird zum ersten Mal in umfassender Art und Weise eine kommunistische Zukunft beschrieben. Im Gegensatz zu anderen Vertretern der sowjetischen Science-Fiction geht Jefremow nicht davon aus, dass sich eine kommunistische Gesellschaft plötzlich und schnell entwickeln wird. Bei ihm ist es ein langwieriger und mühevoller Weg. Eine entsprechende Erziehung des Menschen und die zielgerichtete Entwicklung seiner Persönlichkeit betrachtet er als Grundvoraussetzung, damit dieses Ziel überhaupt erreicht wird.
Der sowjetische Regisseur Jewgeni Sherstobitov verfilmte 1967 einen Teil des Romans unter dem Titel »Туманность Андромеды« (Andromedanebel). Die Handlung konzentriert sich hierbei auf die Erlebnisse der »Tantra«-Besatzung auf dem Eisenstern und den Empfang der Sendung aus dem Epsilon-System im Sternbild Tukan. Dieser Film sollte ursprünglich die erste Folge einer Serie über das Leben in der Zukunft sein. In den folgenden Jahren fiel Jefremow bei den sowjetischen Machthabern in Ungnade, deshalb wurden weitere Teile nie realisiert.
Zusammen mit der Erzählung »Das Herz der Schlange« und dem Roman »Die Stunde des Stiers« gehört »Andromedanebel« zum Zukunfts-Zyklus »Der Große Ring«.
Persönliche Wertung
Jefremow zeigt sehr plastisch, wie die Zukunft der Menschheit aussehen könnte. Im Gegensatz zu anderen Autoren des Genres in seiner Zeit versucht er nicht, seine Leser durch ausführliche Beschreibungen phantastischer Entwicklungen aus Technik und Wissenschaft zu beeindrucken. Noch nie zuvor beschrieb ein Autor so detailliert alle Bereiche des menschlichen Daseins in einer weit entfernten Zukunft.
Einen breiten Raum nimmt dabei die Darstellung der freiwilligen schöpferischen Arbeit und des Strebens nach Erkenntnis ein. Jefremow berührt viele Gebiete der Wissenschaft und Kunst. Er erfindet eine neue wissenschaftliche Disziplin – die bipolare Mathematik. In der Kunst beschreibt er eine Synthese von Musik, Farbe und Bewegung. Dadurch entstehen ungewöhnliche und beeindruckende Kunstwerke. Auch das Zusammenleben der Menschen, die Struktur der Gesellschaft, die Rechtsprechung, die Beziehungen zwischen Mann und Frau, Eltern und Kindern werden betrachtet. Diese umfassende Darstellung ist die große Stärke des Romans.
Weniger gut gelungen finde ich die Beschreibung der Personen, die in der Zukunftswelt des Autors leben. Jefremows Charaktere sind recht eindimensionale Typen. Erg Noor bspw. handelt immer irgendwie heldenhaft. Pur Hiss, ein Mitglied seines Teams, ist ständig ängstlich, pessimistisch und unsympathisch. Dar Weter zeichnet sich durch eine ausschließlich bedächtige und nachdenkliche Verhaltensweise aus. Mwen Mass ist der temperamentvolle Träumer. Seine Handlungen sind oft spontan und unbesonnen. Eine Entwicklung der Charaktere findet kaum statt. Die nur selten auftretenden Konflikte werden in Diskussionen oder einem klärenden Gespräch gelöst. Jefremows Stil spricht mehr den Verstand an, weniger das Herz.
Als ich diesen Roman als Kind zum ersten Mal las, interessierten mich am meisten die Abenteuer Erg Noors und seiner Besatzung auf dem gefährlichen Planeten. Heute beschäftigt mich besonders die Vorstellung, wie es wäre in einer Gesellschaft zu leben, die als so angenehm und erstrebenswert beschrieben wird. In dieser Utopie könnte jeder Bürger auf alle wichtigen Entscheidungen direkten Einfluss nehmen. Fragen und Probleme würden in einem weltumspannenden Informationsnetz diskutiert. Die letztlich getroffene Entscheidung wäre wahrhaft demokratisch, weil vom Willen der gesamten Weltbevölkerung getragen.
In Jefremows Zukunftswelt ist jede Arbeit gleichwertig und kann frei gewählt werden, sofern man die dafür nötige Qualifikation besitzt. Ein Wechsel der Arbeitsstelle oder die Aufnahme einer Ausbildung sind jederzeit möglich. Die Menschen der Zukunft zeichnen sich durch verantwortungsvolles Handeln aus. Bei Entscheidungen wird stets zwischen eigenen Bedürfnissen und gesellschaftlicher Notwendigkeit abgewogen. Eine Art zentrale Arbeitsvermittlung berät bei der Wahl einer neuen Arbeitsstelle und organisiert die Reise dorthin. Männer und Frauen sind vollkommen gleichberechtigt. Der Wohnort kann unproblematisch und einfach gewechselt werden. Ein umfangreicher Besitz wird nicht angestrebt und ist auch nicht notwendig. Die menschliche Existenz ist frei von jeglichem Konsumzwang. Alle Bürger haben jederzeit uneingeschränkten Zugang zu Kultur und Informationen. Die wenigen persönlichen Dinge passen in einen Koffer und lassen sich so leicht transportieren.
Körperlich anstrengenden Arbeiten sind bei Jugendlichen sehr beliebt. Sie vollbringen vor ihrer Aufnahme in die Welt der Erwachsenen zwölf »Herkulestaten«. Die Teilnahme an besonders anstrengenden Projekten soll ihnen helfen, ihre Fähigkeiten zu beweisen und ihren Platz in der Gesellschaft zu finden.
Der Schriftsteller lässt sich viel Zeit – wahrscheinlich wird der Roman auf den einen oder anderen Leser etwas langweilig wirken. Vor allem jene, die ansonsten mehr action-orientierte Science-Fiction-Literatur bevorzugen.
Die Handlung besticht durch die Verbindung verschiedener Erzählebenen. Voneinander losgelöst scheinende Geschichten, die auf der Erde und im Weltraum spielen, werden zum Schluss zusammengefügt und führen die Handlung zu einem befriedigenden Ende.
Die Beziehungen zwischen den Menschen und außerirdischen Wesen werden als positiv beschrieben. Ihre Darstellung hebt sich wohltuend von der sonst in der SF häufig anzutreffenden, bloßen Verlagerung irdischer Konflikte in den Weltraum ab.
Etwas ungewohnt und leicht anstrengend sind die Namen, die Jefremow seinen Helden gibt. In seinem Bestreben, auch durch die Namensgebung deutlich zu machen, dass sein Roman in einer fernen Zukunft spielt, geht er für mein Empfinden etwas weit.
Jefremows Vision von einer zukünftigen Gesellschaft kann nicht als völlig unrealistisch bezeichnet werden. Nur das Bild vom Menschen der Zukunft ist sehr utopisch. Eine ganze Welt, in der nur anständige, fleißige, phantasievolle und höfliche Menschen leben, erscheint wie schöner Traum. Aber: »Ein Traum ist unerlässlich, wenn man die Zukunft gestalten will.« (Victor Hugo)
Zum Buch
Anderer Titel: | Andromedanebel |
Russischer Originaltitel: | Туманность Андромеды (Andromedanebel) |
Autoren: | Iwan Jefremow |
Deutsch: | Heinz Lorenz/Dieter Pommerenke |
Verlag: | Verlag Kultur und Fortschritt 1965 |
Seitenzahl: | 440 |
Ausgabe: | Gebunden mit Schutzumschlag |
Quellen
[1] Das Mädchen aus dem All – Verlag Kultur und Fortschritt 1965
[2] Das Herz der Schlange – Verlag für fremdsprachige Literatur Moskau 1961
[3] Die Stunde des Stiers – Edition TES im Ulenspiegel-Verlag Waltershausen und Erfurt, herausgegeben von Gerd-Michael Rose
[4] Туманность Андромеды – Иван Ефремов, Молодая гвардия, 1959
Die Illustrationen stammen aus der russischen Originalausgabe des Buches Туманность Андромеды – Молодая гвардия, 1959 und sind Grafiken des Malers Alexander Nikolajewitsch Pobedinsky. Er war der erste Illustrator von Jefremows Romanen »Der Andromedanebel« und »Die Stunde des Stiers«.
Die Informationen und Illustrationen einer russischen Originalausgabe stammen von ПУБЛИЧНАЯ БИБЛИОТЕКА.
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Das Buchcover oben gehört zur Buchausgabe des Verlags für Fremsprachige Literatur Moskau. Der Fotograf/Grafiker kann nicht mehr festgestellt werden.
Das russische Original-Buchcover und das Bild des Vorsatzes sind Fotografien meines Originals von 1959.