13.07.2012
Zum Inhalt
Atrus lebt mit seiner Großmutter Anna in der Kluft, einem Erdloch in der Nähe eines Vulkans. Das Leben in dieser Wüste ist hart und entbehrungsreich. Mit viel Geschick versteht es Anna, ihnen trotz allem ein annehmbares Zuhause zu schaffen. So verfügen sie über ausreichend Wasser und haben sogar einen kleinen Garten. Anna ist eine geschickte Handwerkerin. Ihre geschnitzten und behauenen Kunstwerke tauschen sie gegen Dinge ein, die sie nicht selbst herstellen oder anderweitig bekommen können.
Anna versucht ihrem Enkel alles beizubringen, was er für sein späteres Leben brauchen könnte. Sie lehrt ihn, Wissen und Erfahrungen vor allem durch aufmerksames Beobachten zu gewinnen. Atrus gewöhnt sich eine wissenschaftliche Arbeitsweise an. Er führt einfache Experimente durch und erkennt so die grundsätzlichen Zusammenhänge der Natur. Außerdem erschließt Anna ihrem Enkel den reichen Sagenschatz der D’ni. Immer wieder erzählt sie ihm Geschichten und liest aus Büchern vor. Die D’ni sollen viele tausend Jahre tief unter der Erdoberfläche verborgen gelebt haben. Durch eine schreckliche Katastrophe ging später das Reich der D’ni unter. Atrus lernt ihre Sprache und Schrift. In seiner Phantasie besucht er die Welt der D’ni.
Als Atrus ungefähr 14 Jahre alt ist, taucht plötzlich ein Mann in der „Kluft“ auf und behauptet sein Vater zu sein. Gehn hatte seinen Sohn kurz nach dessen Geburt bei Anna zurückgelassen und war seitdem verschwunden. Nun ist er zurückgekehrt, um das Kind zu sich zu holen. Anna ist mit dieser Entscheidung nicht einverstanden, findet mit ihren Einwänden aber kein Gehör. Am nächsten Tag begeben sich Vater und Sohn auf den langen Weg in das Innere der Erde.
Atrus ist von den gewaltigen Bauwerken der D’ni beeindruckt. Riesige Maschinen künden von der Schöpferkraft und Intelligenz dieses Volkes. Zusammen mit seinem Vater lebt er im alten Haus der Familie auf der Insel K’veer.
Gehn ist ihm kein guter Lehrer. Immer wieder zieht er den Wert der Ausbildung, die der Junge von seiner Großmutter erhalten hat, in Zweifel. Wiederholt kommt es zu Konflikten zwischen den beiden. Trotzdem weiht Gehn seinen Sohn in die Geheimnisse der D’ni ein. Dieses Volk verfügte über die unglaubliche Fähigkeit, mit der Kraft des geschriebenen Wortes Welten zu erschaffen.
Gehn versucht diese Kunst schon seit vielen Jahren zu erlernen. Seine Welten sind aber häufig instabil. Ihm fehlt die Kenntnis der grundlegenden Zusammenhänge. Er vermag nur, Textstellen aus vorhandenen Welt-Büchern zu kopieren und in leere Bücher zu übertragen.
Gehn ist unfähig, etwas wirklich Neues zu erschaffen. In seinem Wahn glaubt er außerdem, die Bewohner seiner Schöpfungen müssten ihn als Gott verehren. Aufflackernden Widerstand gegen diese Bevormundung bestraft Gehn, indem er Fehler in die Welten schreibt und so deren Bevölkerung terrorisiert. Atrus erkennt, dass sein Vater verrückt geworden ist und aufgehalten werden muss. Das Schicksal seiner Familie entscheidet sich auf der Welt Riven…
Hintergrund
Myst – Das Buch Atrus ist der erste von drei Romanen, die den Hintergrund der Computerspielreihe Myst von Cyan Worlds näher beleuchten. Ryan Miller schrieb die erste Version des Buches, Rand und Robyn Miller entwickelten danach die Story weiter. Unterstützt wurden die Brüder dabei durch Richard Vander Wende. David Wingrove, ein bekannter britischer Science-Fiction- und Fantasy-Autor brachte das Ganze dann in Roman-Form. Im Jahr 1995 erschien das Buch in englischer und deutscher Sprache.
Chronologisch ist Myst – Das Buch Atrus zwischen den beiden Werken Myst – Das Buch Ti’ana und Myst – Das Buch der D’ni einzuordnen.
Der Roman beschreibt die Vorgeschichte der Computerspiele Myst und Riven. Atrus lässt bei seiner Flucht aus Riven ein Verbindungsbuch in die Sternenkluft fallen. Genau dieses Buch benutzt der Spieler am Anfang des Computerspiels Myst, um die Insel zu betreten.
Die besondere Fähigkeit der D’ni wird anfangs als Erschaffung neuer Zeitalter (Ages) beschrieben. Erst später wird herausgearbeitet, dass ein geschriebenes Buch nur eine Verbindung zu einer ganz bestimmten Welt herstellt.
Persönliche Wertung
Der Roman ist vom Ansatz her dem Genre Fantasy zuzuordnen. Aber seine phantastische Handlung wird geschickt mit der Beschreibung naturwissenschaftlicher Vorgänge verknüpft.
Gleichzeitig ist das Buch zu einem großen Teil ein Erziehungsroman. Der Leser begleitet Atrus vom Augenblick der Geburt bis zur Gründung seiner Familie. Glaubhaft ist das Ringen des Haupthelden um Erkenntnis dargestellt. Den Autoren gelingt es sehr gut, die Empfindungen der Charaktere zu vermitteln. So fiebert bspw. der Leser in einer Situation gebannt mit dem Haupthelden, ob eines der Experimente den gewünschten Ausgang nehmen würde. Auch Atrus‘ Bemühen, seinem Vater ein guter Sohn und Schüler zu sein, kann sehr gut nachempfunden werden.
Im Vergleich von Vater und Sohn werden zwei grundverschiedene Ansätze in der Sicht auf Natur und Umwelt deutlich. Atrus entspricht dem Typ eines emsigen Wissenschaftlers, der verantwortungsbewusst mit den Ergebnissen seiner Forschung umgeht. Durch genaues und geduldiges Beobachten und Beschreiben gewinnt er Zugang zu den Geheimnissen der Natur. Dadurch ist er später fähig Welten zu beschreiben, die den Leser nur noch staunen und darin abtauchen lassen.
Gehn hingegen verhält sich wie ein rücksichtsloser Zocker, hat immer nur den eigenen Vorteil und den schnellen Erfolg im Sinn. Ihm fehlt das grundlegende Verständnis. Er weiß nicht wirklich, was die Welt in ihrem Innersten zusammenhält. Er hat sich auch nie damit beschäftigt. Wie sein Sohn denkt und fühlt, interessiert ihn nicht. Er würde ihn auch nicht verstehen. Mehrmals fragt er seinen Sohn, in welchem Buch er diesen oder jenen guten Satz gefunden hätte. Er kennt die Quelle nicht, aus der Atrus seine Weisheit schöpft.
Gehns Handeln ist widernatürlich und führt letztendlich zum Scheitern. Mit einem Federstrich werden Welten verschlimmbessert, am Ende die Verbindung zu ihnen abgebrochen, frei nach dem Motto „Aus den Augen, aus dem Sinn!“. Für Gehn’s Verhalten und Schicksal lassen sich genügend Beispiele in der realen Welt anführen. In Krisenzeiten werden kurzfristige Strategien entwickelt, die nur die Symptome behandeln, aber nicht die Wurzel des Übels anpacken. Wie gut und wichtig ist es deshalb, dass dieses Verhalten am Ende nicht zum Erfolg führt.
Hervorzuheben ist außerdem noch die bildreiche Sprache des Romans. Sie lässt die faszinierende Welt der D’ni vor dem inneren Auge des Lesers auferstehen. Die Abenteuer in den verschiedenen Welten und die Auseinandersetzung zwischen Vater und Sohn sind logisch und zugleich spannend beschrieben. Zwar ist das Buch anfangs mäßig fesselnd, dafür ist seine Handlung durchdacht konstruiert. An den richtigen Stellen werden neue Informationen über die D’ni offenbart und der Leser so bei Laune gehalten.
Das Wissen über die Handlung der Computerspiele Myst und Riven ist für den vollkommenen Lesegenuss sehr hilfreich. Einem unbedarften Leser könnte es sonst vielleicht schwer fallen, alle Bereiche der komplexen Hintergrundgeschichte zu erfassen. Für Kenner der Myst-Reihe dagegen ist das Buch zweifellos ein Gewinn. Jedes Buch der Reihe fügt dem Bild des Volkes der D’ni einen neuen Mosaikstein hinzu.
Zum Buch
Originaltitel: | MYST – The Book of Atrus |
Autoren: | Rand und Robyn Miller mit David Wingrove |
Deutsch: | Uta Kosin |
Verlag: | Bastei-Verlag Gustav H. Lübbe GmbH & Co., Bergisch Gladbach |
Seitenzahl: | 352 |
Ausgabe: | Gebunden |
Quellen
[1] Myst – Das Buch Atrus, Bastei-Verlag Gustav H. Lübbe GmbH & Co., Bergisch Gladbach
Die Bilder Die Kluft, Der kleine Teich in der Kluft und Die Wunder von D’ni wurden nach Screenshots aus dem Computerspiel MYST ONLINE: URU LIVE AGAIN der Firma Cyan Worlds erstellt.
Die Bilder Zu Besuch in Myst und Myst – Zuflucht für Atrus‘ Familie wurden nach Screenshots aus dem Computerspiel realMyst der Firma Cyan Worlds erstellt.
Die Bilder Der Baum in Riven und Gehn wurden nach Screenshots aus dem Computerspiel Riven der Firma Cyan Worlds erstellt.