09.08.2022

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Cover © AschmarinaGorbowski sitzt am Rand einer Schlucht auf Pandora und ist besorgt. Nachdenklich blickt er auf den unter ihm liegenden Urwald und wirft Steinchen.

Toivo Turnen macht sich ebenfalls Sorgen, jedoch aus anderen Gründen. Seine Frau Rita und er sind zusammen mit anderen Touristen nach Pandora gekommen. Sie wollen etwas Aufregendes erleben. Rita nimmt an Jagdausflügen teil und ihrem Mann ist nicht wohl dabei.

Es gibt so viele Gerüchte über Pandoras unheimliche Wildnis. Dreieckige Seen mit grünhäutigen Nixen, springende und »empfindsame« Bäume und dann … da gibt es noch die schrecklichen Ungeheuer.

Leonid Gorbowski beobachtet alles und macht sich seine Gedanken. Die Touristen benehmen sich für sein Empfinden wie kleine Kinder. Sie sind unvorsichtig und glauben über alles Bescheid zu wissen. Dabei wurde Pandora noch nicht einmal richtig erforscht. Der Urwald entzieht sich jeder genauen Untersuchung. Die Menschen können einfach nicht herausbekommen, was in dem Dschungel passiert.

In der Vergangenheit kam es schon zu einigen Unglücksfällen, bspw. ist der Biologe Michail Sidorow (Athos) vor einigen Jahren über Pandora abgestürzt und gilt seitdem als verschollen.

Der Dschungel © AschmarinaDer Leiter der Station, Paul Gnedych, steht dem Treiben der Touristen etwas hilflos gegenüber. Zwar versucht er, die Jagdgruppen zu besonderer Vorsicht und Achtsamkeit anzuhalten, jedoch kann er die  Jagdausflüge nur aus der Ferne begleiten und im Notfall Hilfe schicken.

Zur gleichen Zeit kämpft Athos im Urwald noch immer um sein Überleben. Schwer verletzt überlebte er den Absturz damals und wurde von den Bewohnern eines Dorfes gerettet. Sie gaben ihm die junge Nawa an seine Seite. Die pflegte ihn zuerst gesund und wurde dann seine Frau.

Sidorow (Athos) ist ständig benommen. Er hat das Gefühl, sein Geist würde in einem Nebel feststecken. Der Biologe weiß, dass er nicht in den Wald gehört und will zurück zu seinen Freunden. Jedoch kann er Weg nach Hause nicht finden. Mehrmals bittet er die anderen Dorfbewohner, ihn zu einer »Stadt« zu begleiten. Einer seiner Retter war schon einmal dort und erzählte ihm von dem Ort. Zwei Dörfler sagen ihre Hilfe zu. Jedoch gewinnt Athos langsam den Eindruck, sie würden sein Vorhaben immer wieder hintertreiben.

Eines Tages macht er sich allein auf den Weg, Nawa schließt sich ihm später an. Sie begegnen Räubern, die ihm die junge Frau wegnehmen wollen. Beide fliehen und erreichen ein mysteriöses Dorf. Hier glaubt Athos alte Freunde wiederzusehen, die eigentlich tot oder verschollen sein müssten. Nawa hat beim Aufwachen eines Morgens ein Skalpell in der Hand und ist entsetzt darüber. Athos nimmt das Messer an sich.

Im weiteren Verlauf kommen sie zu einem Hügel, der von sogenannten Totenmenschen umstellt ist. Hier geschieht etwas absolut Unfassbares. Von einer lilafarbenen Nebelwolke werden Schwärme verschiedenster Insektenarten angezogen und kurze Zeit später wieder ausgestoßen. Dies passiert in einer gewissen Regelmäßigkeit. Auch Tiere erscheinen.

Unglücksstelle © Hora JanInzwischen erreicht die irdischen Basis auf Pandora ein Notruf. Der Hubschrauber mit Turnens Frau ist abgestürzt. Paul organisiert eine Rettungsmission, auch Gorbowski kommt mit.

Am Absturzort treffen die Retter ein, die Jagdgesellschaft ist zum Glück unversehrt. Alle beobachten eine eigenartige Naturerscheinung. Fluggerät, Pflanzen und Tiere werden von einer lebenden Säule assimiliert. Einige Zeit später setzt das Phänomen weiße, teigartige Massestücke frei, die sich zielgerichtet durch den Wald bewegen und im Anschluss in das Wasser eines Sees eintauchen. Der ganze Vorgang ist für die irdischen Forscher vollkommen rätselhaft.

Athos steht noch immer am Fuße des Hügels und ist unfähig, seine Beobachtungen in einen sinnvollen Zusammenhang zu bringen. Für ihn ist keine Spur vernünftigen Handelns erkennbar. Er kann nur ahnen, sollte dies das Wirken einer außerirdischen Intelligenz sein, so ist diese wahrscheinlich nicht humanoid und ein Kontakt mit ihr deshalb vollkommen unmöglich.

Dann tauchen drei Frauen auf. Nawa stürzt los, erkennt in einer davon ihre verloren geglaubte Mutter.

Athos sucht das Gespräch, wird jedoch anfangs ignoriert. Dann wenden sie sich ihm doch zu. Die Frauen wissen von der irdischen Basis. Sie reden jedoch recht abschätzig über die Menschen und deren Aktivitäten auf Pandora.

Sidorow erfährt, dass sich der Planet in einem Umgestaltungsprozess befindet. Auf Pandora tobt ein Krieg zwischen den alten Lebensformen und dem von den »Freundinnen« geschaffenen Leben. Athos kann nicht zur Basis zurück, weil er nicht »geschützt« ist.

Ein Totenmensch hält ihn fest. Sidorow wehrt sich mit dem Skalpell. Er stellt fest, dass die Totenmenschen Helfer-Droiden der »Freundinnen« sind. Ihre Aufgabe ist es, im Dschungel nach Frauen zu suchen und sie in Sicherheit zu bringen. Männer und deren Dörfer dagegen sind dem Untergang geweiht und werden durch die sogenannte »Erfassung« nach und nach vernichtet.

Paul Gnedych © Hora JanAthos kehrt in das Dorf zurück und bekämpft danach die regelmäßig am Dorfrand auftauchenden Totenmenschen mit seinem Skalpell. Er schwört, wenn er einen Weg zur Basis finden sollte, würde er die »Freundinnen« und ihren Umgestaltungsprozess mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln bekämpfen.

Gorbowski und Turnen unterhalten sich im Anschluss in der Basis. Das Ehepaar wird Pandora verlassen. Leonid beschließt, noch eine Weile zu bleiben. Der Planet und seine Geheimnisse lassen ihm keine Ruhe.

Hintergrund

»Unruhe« ist ein Science-Fiction-Roman von Arkadi und Boris Strugatzki aus dem Jahr 1965. Er ist die erste Version des Romans »Die Schnecke am Hang«. Nach der Fertigstellung des Entwurfs hatten die Autoren das Bedürfnis, den Roman in eine andere Richtung zu lenken. Besonders die Abschnitte mit Gorbowski passten nicht in das Projekt, was sie damals realisieren wollten.

In den 1980er Jahre »entdeckten« die Autoren den ersten Entwurf »wieder« und kamen zu dem Schluss, dass es sich um einen recht anständigen Text handelt. Seitdem gibt es den Roman »Unruhe« und er bereichert mit seiner Geschichte den Mittags-Zyklus.

Chronologisch eingeordnet, finden die Geschehnisse auf Pandora in den späten 2130er Jahren statt. Michail Sidorow muss es doch geschafft haben, aus dem Dschungel herauszukommen. Denn in »Die Wellen ersticken den Wind« wird beschrieben, dass Sidorow 2199, im Jahr der »Großen Offenbarung«, schwer erkrankt und deshalb ein Krankenhaus aufsuchen muss.

Persönliche Wertung

Der Roman »Unruhe« gefällt mir besser als »Die Schnecke am Hang«, vor allem, weil er zur Geschichte des Mittags-Zyklus beiträgt und ein Wiedersehen mit Leonid Gorbowski ermöglicht. Es macht einfach Spaß, von diesem zutiefst menschenfreundlichen und starken Charakter zu lesen. Seine Gedanken und Handlungen regen zum Nachdenken an. Wie er anderen begegnet, ist beispielgebend und nachahmenswert.

Die Strugatzkis schreiben selbst:

»Gorbowski ist ein alter Held von uns, in gewissem Maße das Urbild des Menschen der Zukunft, die Verkörperung von Güte und Klugheit, von Intelligenz im höchsten Sinne des Wortes.« ([2] S.859)

Paul und Leonid © Hora JanWelchen Spaß es doch macht, zu lesen, wie Paul Gnedych darauf drängt, auf die nächste Mission unbedingt eine Waffe mitzunehmen und wie Gorbowski mit diesem Hinweis umgeht.

Später bedauert Paul, dass sein Kindheits-Idol so gar nicht dem Bild entspricht, was er selbst in einem Schul-Aufsatz zeichnete. Wie freundlich und humorvoll Gorbowski ihn zum Nachdenken darüber bringt, seine idealisierte Vorstellung zu überwinden, ist überaus lesenswert. Ich bin jedenfalls sehr froh, dass die Autoren den Gorbowski-Teil des ersten Romanentwurfs doch noch ihren Lesern in dieser Form zugänglich gemacht haben.

Was Leonid Gorbowski zur Situation auf Pandora zu sagen hat, ist sehr wichtig für die Weiterentwicklung der Mittagswelt. 
Er bedauert zurecht eine große Schwäche seiner Zeitgenossen:

»Der Mensch ist sorglos geworden. Er hat gleichsam den Selbsterhaltungsinstinkt verloren. Es ist der Spielende Mensch entstanden.« ([2] S.859-860)

Gorbowski schaut auf den Dschungel Pandoras und macht sich große Sorgen. Er ahnt, dass dort etwas geschieht, was die Menschen vielleicht nicht verstehen können. Es ist im Mittags-Zyklus die Zeit der ersten Kontakte zu außerirdischen Zivilisationen. Auf »Leonida« wäre es fast schief gegangen, weil die Menschen sich nicht vorstellen konnten, dass eine fremde Vernunft, ganz an ihren Planeten gebunden und eingebettet in die Natur, existieren kann. Dabei sind die Leonidaner sogar humanoid und den Menschen sehr ähnlich. Was würde jedoch passieren, wenn man auf eine nichthumanoide Zivilisation träfe und vielleicht die vollkommen falschen Schlüsse zöge?

Diesen Fehler begeht Sidorow, was auch gleichzeitig wieder recht typisch für ihn ist. Aus seiner persönlichen Betroffenheit heraus ergreift er Partei für eine Seite auf Pandora. Er will das Wirken der »Freundinnen« mit aller Macht bekämpfen. Wie schon in »Planetenerkunder« folgt er eigenen Motiven und denkt zu kurz.

Natürlich ist die Situation auf Pandora eine Herausforderung. Die Veränderungen sind gigantisch. Dörfer versinken im Wasser, Menschen sterben und Männer werden in dieser Welt nicht mehr gebraucht. Eine Welt der Frauen, die sich mittels Parthenogenese fortpflanzen ...
Die untergehende Gesellschaft dagegen wird so beschrieben:

»Sie lebten in Dörfern vor sich hin … Als Getreide gebraucht wurde, waren sie notwendig. Man lernte, Getreide ohne Bauern zu züchten – und vergaß sie. Und jetzt leben sie für sich mit ihrer altertümlichen Technik, ihren altertümlichen Bräuchen, völlig vom stürmisch dahinfließenden wirklichen Leben abgeschnitten.« ([2] S.861-862)

Auch wenn das Treiben auf Pandora für die Menschen unverständlich erscheint, seine Bewohner haben jedes Recht über ihre Zukunft selbst zu entscheiden!

Ich kann diesen Roman jedem am Zyklus »Mittag, 22. Jahrhundert« interessierten Leser von ganzem Herzen empfehlen. Die Handlung regt zum Nachdenken an und erweitert das Wissen über die Mittags-Welt der Strugatzkis.

Zum Buch

Originaltitel: Беспокойство (Angst, Besorgnis, Aufregung)
Deutscher Titel: Unruhe
Autoren: Arkadi und Boris Strugatzki
Verlag: Heyne Verlag München
Seitenzahl: 134
Ausgabe: Paperback

Quellen

[1] Беспокойство – Аркадий и Борис Стругацкий

[2] Strugatzki, Arkadi; Strugatzki, Boris. Gesammelte Werke 4: Fünf Romane in einem Band: Es ist schwer, ein Gott zu sein; Die dritte Zivilisation; Der Junge aus der Hölle; Fluchtversuch; Unruhe (German Edition). Heyne Verlag. Kindle-Version.

Die Zeichnung von:

Ашмарина Яна Станиславовна stammen von der Seite »Фантасты братья Стругацкие: Иллюстрации: Ашмарина Яна Станиславовна (1963-2015)« (bearbeitet!). Sie erschienen in dieser Zeitschrift: Миры братьев Стругацких: Т. 5 [ПИП]. – М.: АСТ; СПб.: Terra Fantastica, 1997

Hora Jan stammen von der Seite »Фантасты братья Стругацкие: Иллюстрации: Hora Jan« (bearbeitet!). Sie erschienen in dieser Zeitschrift: Ikarie (Praha). – 1999. – # 1

Die Veröffentlichung der Zeichnungen erfolgt mit freundlicher Genehmigung durch Vladimir Borisov (Redakteur der Seite »Фантасты братья Стругацкие«).